Der Genesisbericht und die Evolution

Der Genesisbericht und die Evolution
Peter Rüst und Armin Held

Stellungnahme von Pfr. Marcel Wildi, ProGenesis

Im Gegensatz zum Institutsbulletin, das mit vielen unbewiesenen Behauptungen daherkam, zeugt „Der Genesisbericht und die Evolution“ von einer fleissigen Arbeit, vor allem im theologisch-sprachwissenschaftlichen Bereich. Die beiden Autoren haben sich wirklich in die Materie hineingearbeitet (vgl. dazu die Homepage von Armin Held). Zu den naturwissenschaftlichen Aussagen in der vorliegenden Arbeit will ich mich nicht äussern, da ich dort nicht vom Fach bin. Hingegen muss ich dennoch einige Bemerkungen zur Auslegung bzw. Interpretation von 1.Mose 1-2 machen.

I. „Ein konkordanter Ansatz wie der unsrige muss natürlich berücksichtigen, dass die Bibel keine wissenschaftlichen Informationen gibt, sondern primär theologisch ausgerichtet und in allen Kulturen verständlich ist.“ (S.4) Diese Aussage, die so und ähnlich immer wieder gemacht wird, kann ich wirklich schon bald nicht mehr hören. Natürlich ist die Bibel kein Lehrbuch in unserem zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Sinn. Aber das ist doch überhaupt kein Kriterium. Ist denn unser momentanes sog. „naturwissenschaftliches“ Denken und Schreiben das non plus ultra, an dem sich jegliches Schriftstück zu messen hat. Ist etwas schon falsch, nur weil es nicht in der wissenschaftlichen Form des 20./21. Jh. geschrieben ist? Was für eine Selbstüberschätzung! Selbstverständlich macht die Bibel Aussagen, die unter die Kategorie Naturwissenschaft fallen, auch wenn sie sie in anderer Form darstellt. Sie sind aber deswegen nicht weniger wahr.

II. „Seit der Veröffentlichung unseres Modells in einer amerikanischen Zeitschrift (1999) sind wir manchen Einwänden, aber bisher noch keinem überzeugenden Gegenargument begegnet.“ (S.4) Was soll das schon bedeuten? Ich habe auch schon Texte veröffentlicht, die nicht widerlegt worden sind. Das kann die verschiedenste Gründe haben. Jeder, der (so wie ich) diese amerikanische Zeitschrift nicht kennt, kann gar keine Widerlegung schreiben. Auch kann ich einen Artikel lesen, ihn für unvernünftig halten und ihn dann ad acta legen, ohne darauf zu reagieren. Ausserdem sind die Gegenargumente für andere vielleicht schon überzeugend, nur für mich selber nicht, weil ich ja mein bisheriges Weltbild oder meinen Glauben ändern müsste.

III. „Wir sind der Überzeugung, dass die göttliche Urheberschaft im Wesentlichen eine Irrtumslosigkeit der biblischen Urtexte einschliesst.“ (S.4) „Im Wesentlichen“? Also nicht in allem? Wo liegt dann die Grenze? Wer beurteilt, was irrtumslos ist und was nicht? Die moderne Naturwissenschaft etwa, die ihre Ergebnisse alle paar Jahre oder Monate revidieren muss? Was haben doch historisch-kritische Theologen in früheren Jahrhunderten nicht schon alles für nichtexistent erklärt, was in der Bibel vorkommt und später tatsächlich auch ausgegraben oder in anderen Texten bestätigt wurde!
Und damit kommen wir zum ersten, grossen grundsätzlichen Problem des Ansatzes von Rüst und Held:

IV. „Man hat die Bibel und die Schöpfung als die zwei Bücher göttlicher Offenbarung bezeichnet, darum sind Harmonisierungsversuche durchaus berechtigt. ... Allerdings ist es notwendig, beide Offenbarungen sehr sorgfältig zu interpretieren und weltanschauliche Vorurteile möglichst auszufiltern.“ So beginnen Rüst/Held ihre Ausführungen. So weit so gut. Was passiert nun aber im Verlauf der Ausführungen? Wo immer Bibel und heute gängige Naturwissenschaft (sprich Evolutionstheorie) in einem Gegensatz zueinander stehen, geben die beiden Autoren der Naturwissenschaft den Vorzug. Ich weiss nicht, ob ihnen das überhaupt bewusst ist. Wenn ja, dann sind all die vielen schönen Sätze über die Inspiration der Bibel (an denen ich mich auch gefreut habe) hohle Phrasen. Was wäre das für ein Gott, der uns in seiner einzigen schriftlichen Informationsquelle über ihn ständig im Ungewissen liesse, ob eine Bibelstelle nun irrtumslos ist oder nicht? Ein solch unsicheres Fundament für meinen Glauben kann ich nicht brauchen: entweder ist die Bibel wirklich in jeder Aussage inspiriert und irrtumslos oder ich kann sie wegwerfen! Wenn es ihnen nicht bewusst ist, dann sollten sie einmal wirklich über die Frage nachdenken, welche Informationsquelle denn die zuverlässigere ist, die Bibel (das inspirierte Wort Gottes) oder der momentane „naturwissenschaftliche“ Erkenntnisstand? Wie viele Irrtümer hat doch die Naturwissenschaft in den letzten paar Jahrhunderten geliefert? Ist das heute anders? Wissen und verstehen wir heute alles korrekt? Hat die Naturwissenschaft heute die Stufe Irrtumslosigkeit erreicht? Eine Antwort erübrigt sich! Wenn nun also eine Diskrepanz zwischen Bibeltext und „Naturwissenschaft“ sprich Evolutionstheorie auftritt, wem gebe ich dann den Vorzug? Ich gebe ihn grundsätzlich der Bibel! Rüst/Held tun das nicht, sie machen das Gegenteil, auch wenn sie in Kap.1 schreiben, beide „Offenbarungsquellen“ gleichberechtigt zu behandeln.
Nebenbei: Die faktische Gleichsetzung von Naturwissenschaft mit Urknall und Evolutionstheorie im vorliegenden Text ist eine enorme Verkürzung der Naturwissenschaft. Diese kann auch in ganz anderen Denkrahmen seriös betrieben werden.

V. „Ein häufiges Missverständnis, das vom Text selbst nicht belegt wird, besteht darin, in Gottes Werk in 1.Mose 1 weitgehend Wundertaten zu sehen. Solche kommen hier zwar tatsächlich vor ... Doch der Grossteil dessen, was zwischen diesen Ereignissen [den „bara“ (erschaffen)-Ereignissen] geschah, bestand aus Entwicklungsvorgängen.“ (S.6). Es lebe die Suggestion! Zuerst wird etwas, was jeder normale Mensch beim normalen Durchlesen des Textes versteht, als plakative Behauptung, als (zwar nicht gänzliches) Missverständnis dargestellt und dann anhand einer eigenen Behauptung belegt, die auf einer weltanschaulichen Voreingenommenheit beruht (nämlich dem prinzipiellen Vorrang der Evolutionstheorie).

VI. „Ein zweites Missverständnis erwartet, dass Gottes Schöpfertätigkeit jeweils unmittelbar und sofort das Endprodukt erzeugt.“ (S.6) Schon wieder der gleiche suggestive Mechanismus. Nun ist dieser Satz zwar grundsätzlich nicht falsch, was Rüst/Held dann aber tun ist, dass sie bei fast allem, was in der Bibel vorkommt, davon ausgehen, dass Gott fast nie sofort und unmittelbar das Endprodukt erzeugt. Doch das trifft mindestens auf beinahe alle Wunder, insbesondere auch die Wunder von Jesus, sicher nicht zu! Gott/Jesus erschafft oder macht sehr wohl häufig Dinge, die sofort vollkommen dastehen. Ihm diese Möglichkeit bei der Schöpfung ausreden zu wollen, entspricht nicht dem Gesamtbild der Bibel. Und wie heisst es doch in Ps.33,9 so schön (wörtlich): „Denn er sprach und es geschah, er befahl und es stand da.“ Kann man da ernsthaft an eine Jahrmillionen lange Entwicklung denken?

Im Folgenden ein paar Bemerkungen zu den hebräischen Wörtern, die im Schöpfungsbericht eine zentrale Rolle spielen. Rüst/Held betonen immer wieder, dass sie möglichst auf die ursprünglichen Bedeutungen der hebräischen Wörter zurückgehen, dass sie sehr wörtlich und genau übersetzen. Leider können sie ihr Versprechen nicht einlösen und damit entfallen die sprachlichen Grundlagen ihrer Synthese von Schöpfungsbericht und Evolutionstheorie.

VII. Zum Wort „toledot“ in 1.Mose 2,4, das auf S.9 ausführlich erklärt wird und von Rüst/Held die Bedeutung „Stammbaum/Abstammungsregister“ bekommt. Die beiden verstehen 2,4 als Untertitel zu 1,1-2,3. Der Alttestamentler Prof. Dr. Samuel R. Külling hat in seiner Dissertation (Zur Datierung der <Genesis-P-Stücke>) und in der Zeitschrift Fundamentum 3/1983 und 4/1983 (Immanuel-Verlag Riehen) klar dargelegt, dass auf Grund der Struktur des Buches Genesis und der Bedeutung des Ausdrucks „toledot“ 2,4 nicht der Untertitel zu 1,1-2,3 ist, sondern die Überschrift zu 2,5ff. Die „toledot“ sind eine Übergangsformel und leiten jeweils ein, was aus dem Vorhergegangenen geworden ist. Wörtlich heisst toledot „Hervorbringung, Zeugung“ von „jalad“ „zeugen“. Der dabei stehende Genitiv bezeichnet den Urheber. Die „toledot von Himmel und Erde“ leiten also ein, was aus der soeben erschaffenen Welt geworden ist: nämlich das in 2,5ff beschriebene, genauso wie beispielsweise die „toledot Isaaks“ die Lebensgeschichte seiner Söhne Esau und Jakob (Gen.19,25ff) beschreibt, eben das, was er gezeugt/hervorgebracht hat. Es ist deshalb nicht richtig, Gen.1 auf Grund von „toledot“ in 2,4 als eine Art „Stammbaum“ der Entwicklung der Erde und des Lebens zu bezeichnen (wie S.9 behauptet).

VIII. Zum Wort „yom“ „Tag“ im Schöpfungsbericht. Rüst/Held haben als Kriterium für den Schöpfungsbericht aufgestellt, dass er quasi zu allen Zeiten von allen Völkern verstanden werden müsse (S.4f). Was versteht nun irgendein durchschnittlich gebildeter Leser, wenn er in eben diesem Schöpfungsbericht von „6 bzw. 7 Tagen“ liest und von „Abend und Morgen“? Denkt er da ganz spontan und unwillkürlich an verschieden lange Perioden von Millionen bis Milliarden Jahren? Sicher nicht! Die beiden führen ihre eigene Argumentation ad absurdum. Abgesehen von dem Fachausdruck „Tag des Herrn“, der tatsächlich im gesamtbiblischen Horizont symbolisch und nicht als eine 24-Stunden-Einheit zu verstehen ist, kann das Wort „yom“ nur im Plural „yamim“ einen längeren Zeitraum meinen (in Gen.1 kommt es aber nur im Singular vor). Auch ist es in den hunderten von Fällen, in denen es im Alten Testament in Verbindung mit einer Zahl oder mit der Formulierung „Abend und Morgen“ vorkommt, fast ausnahmslos wörtlich verstanden (als 12 bzw. 24 Stunden). Will man ausgerechnet hier, beim ersten (!) Auftauchen des Ausdrucks eine fast vernachlässigbare Bedeutungsvariante zur Grundlage einer Lehre von solcher Tragweite machen, so erscheint mir das doch sehr fragwürdig! Selbstverständlich hat die Formulierung über das Sabbatgebot (vgl. S.13) in 2.Mose 20 eine Bedeutung für unsere Fragestellung, denn das Sabbatgebot ist für die, die es anwenden sollen, wörtlich zu verstehen. Ein symbolischer Ruhetag macht keinen Sinn. Des Weiteren: Was sollte eigentlich der Sinn sein des sechsmaligen Aufzählens von „Abend und Morgen“, wenn damit unterschiedlich lange Zeitepochen gemeint sind? Wie existieren z.B. die Pflanzen, die am dritten Tag entstanden, während einer Jahrmillionen langen Zeitperiode ohne Licht [nämlich in der diesem Tag folgenden Nacht] (oder ist „Nacht“ hier nicht einmal mehr als dunkle Periode zu verstehen?)? Noch aus einem anderen Grund ist es unsinnig, bei der Formulierung der Tage, definiert durch Abend und Morgen, an sehr lange Zeiträume zu denken. Das Hebräische kennt nämlich sehr wohl Ausdrücke, die sehr lange Zeiträume beschreiben, insbesondere „olam“, das in den deutschen Bibeln meist mit „Ewigkeit“ übersetzt wird [dass das hebräische „olam“ (genauso wie das entsprechende griechische „aion“) dabei nicht im Sinne des deutschen „ewig“, (also ohne Anfang und Ende) zu verstehen ist, sondern lediglich eine sehr lange Zeitperiode meint, zeigt sich daran, dass häufig die Formulierungen „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ oder „in alle Ewigkeiten (Plural) vorkommt]. „Olam“ wäre also geradezu das ideale Wort, um das zu beschreiben, was Rüst/Held meinen. Wieso nur kommt dann dieses Wort im Schöpfungsbericht einfach nicht vor (und auch keines der anderen bedeutungsähnlichen)??
Dass sie mit ihren Aussagen an den hebräischen Wörtern „Abend und Morgen“ anstossen, merken Rüst/Held auch und holen deshalb zu einem Befreiungsschlag aus: „Eine genauere Übersetzung, ‚ein Übergang (Vermischung zweier Zustände) und ein Anbruch (einer neuen Epoche)’, jedoch ist vereinbar mit langen Epochen.“ Da wird der Leser nun vollends an der Nase herumgeführt, denn „äräb“ (Abend) und „boqär“ (Morgen) im Sinne von „Übergang (Vermischung zweier Zustände)“ und „Anbruch (einer neuen Epoche)“ zu übersetzen, entbehrt nun wirklich jeglicher sprachlicher Grundlage. „Genauer“ im Sinne von „passender“ ist diese Übersetzungsvariante nur im Rahmen ihres gekünstelten Konzeptes.

IX. Zum Verb „asah“ (S.6). „bara“ bedeutet „erschaffen“ (in den deutschen Bibeln auch so übersetzt) und wird ausschliesslich von Gott gebraucht, wenn er etwas völlig Neuartiges schafft, also nicht aus etwas schon Bestehendem. „asah“ hingegen wird für Gott und Menschen verwendet, wenn aus etwas in irgendeiner Form schon Bestehendem etwas Neues gemacht/hergestellt/gefertigt/getan wird. So weit so gut. Auf rutschiges Gelände führen Rüst/Held, wenn sie nun aber schreiben: „Es bezeichnet die weitere ‚Zubereitung’ oder ‚Entwicklung’ von vorbestehenden Objekten.“ Eine Bedeutungsvariante „Entwicklung“ liegt nämlich in diesem Verb nicht vor. Es geht bei diesem Verb immer um eine Gestaltung, um ein Machen, ein Anfertigen, etwas wird durch eine Arbeitsleistung von aussen umgestaltet, neu gestaltet. Nach den von mir konsultierten Wörterbüchern kommt dieses Verb an keiner Stelle im Alten Testament im Sinne einer Entwicklung vor. Ein Auto oder ein Computer z.B. werden von Menschen aus einzelnen (bereits bestehenden Materialien) hergestellt/gemacht/fabriziert, sie entwickeln sich nicht aus sich selber heraus! Überhaupt kennt das Alte Testament den Ausdruck „entwickeln“ nicht! Weshalb also sollte Gott im Schöpfungsbericht die Wörter „erschaffen“ und „machen/herstellen“ für seine Person verwenden, wenn doch in Wirklichkeit (mindestens gemäss Rüst/Held) sich fast alles aus sich selber heraus entwickelt haben soll? Hat Gott Mühe mit der hebräischen Sprache?

X. Zum Wort „min“ „Art“ oder „Grundtyp“ (S.16). Die Herkunft von „min“ ist nicht sicher! Die von Rüst/Held erwähnte („Abspaltung, Trennung, Abkunft“) ist eine mögliche, eine andere ist die von einem Wort mit der Bedeutung „Form/Erfindung“ [sh. Harrris, Archer, Waltke, Theological Wordbook of the Old Testament, Bd.1 S.503]. Das Wort wird gebraucht (neben seinem Vorkommen im Schöpfungsbericht) im Sintflutbericht beim Hineingehen der einzelnen Tiergruppen in die Arche, in der Klassifizierung von reinen und unreinen Tieren (3.Mose 11,14.22.29; 5.Mose 14,13-18) und in Hes.47,10, wo „Fische von jeder Art“ erwähnt werden. An all diesen Stellen liegt die Aussageabsicht sicher nicht darin, dass all die aufgezählten Tier“arten“ voneinander abstammen, sondern darin, die Tiere voneinander zu unterscheiden. Ausserdem liegt auch in Gen.1 die Aussageabsicht ganz klar darin, dass jede einzelne „Art“ ihren eigenen Samen produziert, so dass gleiche Nachkommen entstehen (V.11-12). Interessant ist ausserdem, dass das Wort „min“ immer nur in Verbindung mit einem Possessivpronomen (einem Besitz anzeigenden Fürwort) vorkommt (nach seiner Art, nach ihrer Art). Dies weist darauf hin, dass die „min“ als eine Sache für sich betrachtet werden will, die sich eben gerade primär von den anderen unterscheidet. Das widerspricht der von Rüst/Held behaupteten Aussageabsicht der gemeinsamen Abstammung. Ihre Aussage „’Arten’ [min] wurden laut Bibel weder erschaffen, noch waren sie unveränderlich, sondern sie entstanden durch Veränderung und Abtrennung, so dass sie nicht mehr in der Lage waren, sich wieder mit der Art, von der sie abstammten, zu vereinigen“, ist deshalb völlig unzureichend begründet, eigentlich eine reine ideologische Behauptung, die sich am Text nicht festmachen lässt.

XI. Zur Erschaffung des Menschen (S.19ff). Rüst/Held behaupten mit Verweis auf Pred.3,18-20, dass die Bibel sage, dass der Mensch nichts anderes als ein Tier („behema“ = Vieh [1,24]) sei (S.19). Diese Behauptung ist natürlich abwegig, denn Pred.3 will nicht sagen, dass der Mensch ein Tier ist, sondern dass es ihm wie den Tieren ergeht, nämlich dass er wie sie sterben muss. Auch die folgende Aussage ist nichts als eine reine Behauptung: „Die Menschwerdung erfolgt in zwei Schritten. Gott erklärte, er werde Menschen zubereiten (asah), worauf er sie schuf (bara). Offenbar bereitete Gott die Menschen durch einen Entwicklungsprozess (Abstammungsbaum 1.Mose 2,4) aus Tieren zu.“ Zum hier vorliegenden falschen Verständnis von „asah“ und „toledot“ habe ich mich schon geäussert. Wer den Bibeltext unvoreingenommen liest, bekommt einen solchen Eindruck nicht. Der Text sagt nur, dass Gott sich entschied, Menschen zu machen (allgemeines Verb „asah“) und dass er das dann auch tatsächlich machte (nämlich durch eine spezielle Schöpfung („bara“)). Weiter schreiben die beiden: „Gott segnete nun die Menschen und sprach zu ihnen. Er hiess sie, die Erde zu füllen und „es geschah so“, bevor der 6. Tag vollendet war. Offenbar umfasste dieser 6. Tag bereits eine lange menschliche Geschichte.“ (S.19) Die Formulierung „und es geschah so“ muss sich nicht zwangsläufig auf die später tatsächlich geschehene Vermehrung und Verbreitung der Menschen beziehen, sie kann sich genauso gut lediglich auf den Umstand der Erschaffung des Menschen beziehen (nämlich (lediglich) auf das, was sich Gott in V.26 vorgenommen hatte).

Weiter: „In 1.Mose 2,7 heisst es nicht, Gott habe den Menschen erschaffen, sondern er "bildete" Adam. ‚jatzar’ heisst ‚bilden, formen, entwerfend festlegen, planen und ausführen’. Wenn es von Gott gebraucht wird, ist es ein ‚terminus technicus’ für die Formung eines Menschen im Mutterleib. Dies bedeutet, dass Adam Eltern hatte, genauso wie Jeremia, zu welchem Gott sprach: ‚Ehe ich dich im Mutterschoss bildete [jatzar] (Jer.1,5)’.“ (S.22) Auch hier muss ich widersprechen. Die Tatsache, dass das Verb in Jer.1,5 für die Formung des Menschen im Mutterleib verwendet wird, berechtigt noch lange nicht zu der Schlussfolgerung, dass dieses Verb nur in dieser Aussageabsicht verwendet werden kann und folglich auch im Schöpfungsbericht diese Bedeutung haben muss. „jatzar“ ist ein häufig verwendetes Wort, das auch von Gott in den verschiedensten Fällen in vielen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht wird. Es ist kein die Bedeutung einengender „terminus technicus“ für die Bildung im Mutterleib.

Weiter: „Zwischen dem Text (a) vor und (b) nach 1.Mose 2,4 besteht ein offensichtlicher stilistischer Kontrast. In (a) wird Gott elohim genannt, was seine allgemeine Beziehung zur Schöpfung charakterisiert, in (b) Jahweh elohim. Jahweh, frei übersetzt ‚Ich bin’ ist sein Name, den das Alte Testament im Zusammenhang mit seinen Bundesschliessungen mit Menschen verwendet; er weist auf eine persönliche Beziehung hin. Während in (a) von ‚Mensch’ [adam] im kollektiven Sinn, also der Menschheit, die Rede ist, fügt (b) den Artikel bei: hier ist es ‚der Mensch’ [ha adam] mit dem Namen Adam. In (a) schuf Gott ‚sie’ kollektiv; in (b) entwarf er ‚ihn’ als Einzelnen. In (a) wird erklärt, die Menschheit sei ‚männlich und weiblich’ erschaffen worden (zwei Kollektivbegriffe); in (b) befasst sich der Herr mit ‚Adam und seiner Frau’, einem individuellen Paar. Durchgehend verwendet (a) eine generelle, kollektive Sprache, während (b) spezifische, persönliche Begriffe braucht. Diese und andere Merkmale finden eine Erklärung, wenn (a) und (b) von verschiedenen Epochen mit verschiedenen Hauptperspektiven handeln. Daraus aber zwei Versionen derselben Geschichte zu machen erzeugt Probleme, sofern man nicht beide als Mythen betrachtet.“ (S.23) Die Beobachtung der Unterschiede von (a) und (b) ist richtig, aber die Schlussfolgerung nicht. Denn: Gen.1 ist ein systematischer Gesamtüberblick über die Erschaffung des gesamten Universums bis hin zum Menschen als krönendem Abschluss. In diesen Gesamtüberblick hinein Details der Erschaffung des Menschen zu streuen, würde die künstlerische Struktur stören. Deshalb werden die näheren Umstände der Erschaffung der beiden ersten Menschen in einem zweiten separaten Bericht geschildert. Dass dieser viel persönlicher ist, ist nur logisch. Es geht dabei keineswegs um verschiedene zeitlich nacheinander liegende Epochen, sondern um die Schilderung des gleichen Ereignisses aus einem anderen, einem persönlicheren und detaillierteren Blickwinkel. Es ist demnach nicht so, wie Rüst/Held S.22 behaupten, dass die Erschaffung des Menschen am 6. Tag und die Bildung Adams am 7. Tag verschiedene Ereignisse sind. Ausserdem heisst es ja ausdrücklich, dass Gott am siebten Tag ruhte (Gen.2,1-3). Gen.2,5ff findet nicht am 7. Tag statt, sondern während der Tage 3 bis 6.

Völlig unverständlich ist mir folgende Passage (S.24): „Was unterscheidet Adam von früheren Menschen? Wenn die Bibel davon spricht, dass Gott Menschen (oder sogar Tiere) bildete [yatzar], erwähnt sie oft ihren speziellen Auftrag, so für den Messias, für Gottes Söhne und Töchter, für David und Jeremia. Wir glauben, dass Adam dazu berufen war, das Problem von Tod und Verderben in der Schöpfung anzugehen und für die Menschheit den Weg in die geistliche Gemeinschaft mit Gott zu öffnen. Adam ist "der erste Mensch", Jesus "der zweite Mensch" (beide nicht in einem biologischen Sinn!); nur Adam (vor dem Fall) und Jesus hatten die ungetrübte Gemeinschaft mit Gott, die für Menschen vorgesehen war. Die biblischen Genealogien decken die Zeit vom "Anfang" bis zu Jesus Christus, dem "letzten Adam" ab, welcher ein "lebendig machender Geist" wurde, was den Grund legte für eine neue, geistliche Menschheit (1.Kor.15,47.45).“ Wie bitte sollte Adam das Problem des Todes lösen? Warum ist jetzt der Tod auf einmal überhaupt ein Problem (nachdem er vorher während Millionen von Jahren zur Höherentwicklung mit nötig war)? Warum und wie löst Adam das Problem des physischen Todes, wenn er doch selber als „behema“ („Tier“ des 6. Tages wie alle anderen Geschöpfe, dem Verhängnis des physischen Todes unterliegt? Das Spezielle an ihm ist sein Geist, der ihn in Verbindung mit Gott bringt. Wie hilft das zur Lösung dieses Problems? Faktisch macht Adam das Problem ja nur noch grösser, indem er diese Gemeinschaft schon nach kurzer Zeit verspielt, noch den geistlichen Tod in die Welt hineinbringt und Gott so nötigt, nach einer weiteren Lösung (in Christus) zu suchen. Ausserdem: Was ist mit all den Menschen vor Adam? Haben sie keine Hoffnung auf Erlösung?
Zu den Spekulationen rund um die Verleihung des „neschamah“ (des „Lebensgeistes“ (S.24): Wenn Adam tatsächlich der biologisch erste Mensch ist, braucht er keine (nachträgliche) „Wiedergeburt“, weil er ja von Gott mit einer ungetrübten Verbindung zu ihm geschaffen wurde.

XII. Zum Thema „Tod in der Schöpfung“ (S.25-26). Nach dem gesamten Zeugnis der Bibel ist es völlig klar, dass der Tod für die Schöpfung etwas Feindliches ist, das überwunden werden muss/soll (z.B. 1.Kor.15; Joh.11). Der Tod ist kein Schöpfungsprinzip. Offb.20,11-21,4, Röm.5,12-23 und 8,19-23 sprechen eine deutliche Sprache, auch wenn dies Rüst/Held nicht wahrhaben wollen und in Fussnote 107 (S.25) fünf Argumente gegen diese Meinung anführen. Leider kann ich diesen fünf Argumenten wirklich keinerlei Beweiskraft für ihre Position abgewinnen. In (1) wird Adam lediglich zu einem typischen Repräsentanten der dem Tod verfallenen Menschheit gemacht (wie Christus auch nur der typische Repräsentant der neuen Menschheit mit geistlichem Leben sein soll; was, in Klammern gesagt, bedeuten würde, dass nicht Jesus die Erlösung vollbracht hat, sondern dass sie sich an ihm nur als erstem manifestiert hat (wo ist sie dann aber hergekommen?)). Paulus bezeichnet Adam jedoch ausdrücklich als den historischen Urheber der Todverfallenheit der Menschheit und der Schöpfung (Röm.5,12.15.17). Der Tod begann seine Herrschaft mit Adam (5,14). Argument (2) tut inhaltlich gar nichts zur Sache (der genaue Zeitpunkt spielt doch keine Rolle; das Faktum als solches ist entscheidend). Was Argument (3) aussagen will, ist mir nicht klar. Was bedeutet „geistlich-typologische Verbindung“? Ist „geistlich-typologisch“ das Gegenteil von historisch oder geschichtlich? Ausserdem spielt es doch gar keine Rolle, wie genau die Sünde und der Tod von Adam auf alle weiteren Menschen kommt, entscheidend ist doch nur, dass es so ist. (4) und (5): Natürlich ist der Fall Satans die Voraussetzung für den Fall Adams, aber der Fall Satans wird (im Gegensatz zu Adam in Röm.5 und 8) in der ganzen Bibel nirgends direkt mit dem Verhängnis des Todes über unsere Welt in Zusammenhang gebracht.

Adam ist viel mehr als nur „der typische Repräsentant der alten, gefallenen Menschheit vor und nach seiner Zeit, gerade wie Christus die ‚Erstlingsfrucht’ der neuen Menschheit ist, nämlich derer, die aus Geist geboren sind, vor und nach seiner Zeit auf der Erde.“ (S.23) Solche Aussagen, die öfters vorkommen, erinnern mich stark an die symbolische oder auch ätiologische [eine in Legendenform die Herkunft erklärende] Bibelauslegung der historisch-kritischen Theologie. Die Historie wird durch einen Mythos ersetzt. Damit machen Rüst/Held genau das, wogegen sie sich an anderer Stelle (Kap.6) wehren. Paulus verstand Adam als historische Person, als ersten Menschen, genauso wie Christus eine historische Person ist.

Röm.8 sagt deutlich, dass die Schöpfung (nicht nur die Menschheit) gegen ihren Willen der Vergänglichkeit unterworfen ist (V.20: das griechische Verb steht im Aorist Passiv, der ein einmaliges, zeitlich beschränktes Ereignis beschreibt und nicht einen andauernden Zustand [wie es nach Rüst/Held sein müsste] (in diesem Falle stünde das Imperfekt).

Wenn das Problem von uns Menschen tatsächlich nur der geistliche Tod wäre, nicht aber auch der körperliche, weshalb müsste dann Jesus zur Überwindung unseres menschlichen Problems körperlich sterben und körperlich wieder auferstehen? Hätte er sich das dann nichts sparen und für eine Lösung im rein geistlichen Bereich schauen können, die ihm all diese irdischen Mühen erspart hätte?

XIII. „Es war nicht der Fall Adams, sondern Satans Fall, der die Schöpfung verdarb! Dies führte zum tohu wa-bohu von 1. Mose 1,2, zu Tod und Leiden für die ‚lebenden Seelen’. In der Bibel ist tohu immer negativ: Formlosigkeit, Öde, Nichtigkeit durch Hinwendung zu Götzen. Bohu, Leere, kommt immer zusammen mit tohu vor, in Situationen der Zerstörung.“ [Obwohl sich Rüst/Held an dieser Stelle ausdrücklich dagegen wehren, sie würden damit die Lücken- oder Restitutionstheorie vertreten, muss ich feststellen, dass sie mit ihrer Meinung genauso weit von der Aussage des hebräischen Satzes in Gen.1,2 entfernt sind wie die Vertreter jener Theorie, von der sie sich abgrenzen.] (S.26) Prof. Külling hat nämlich in Fundamentum 1/1981 diese nicht selten vertretene Meinung widerlegt, dass der Fall Satans für ein Chaos auf Erden verantwortlich ist. Die Behauptung „tohu“ und „bohu“ hätten es mit Zerstörung und Chaos zu tun, ist falsch. „tohu bedeutet generell die Abwesenheit oder das Fehlen von etwas, daraus folgt die Bedeutung „Wüste“ als einem Ort von fehlendem Leben. „bohu“ bedeutet „Leere“. Gen.1,2 sagt also, (in sprachlicher Übereinstimmung mit allen anderen Stellen des Alten Testaments, an denen diese Ausdrücke stehen), dass nach V.1 die Erde noch leer und unzubereitet war. Es fehlte noch etwas. Darum begann Gott dann ab V.3 mit der Zubereitung der Erde als Wohnung für den Menschen, als erstes bezeichnenderweise mit dem Licht. Das entspricht auch dem Vers Jes.45,18, der genau übersetzt folgendermassen heisst: „Denn so spricht der Herr, der die Himmel geschaffen hat - er ist Gott -, der die Erde gebildet und sie gemacht hat - er hat sie gegründet, nicht zur Leere („tohu“) hat er sie geschaffen, zum Wohnen hat er sie gebildet.“ Viele antike ausserbiblische Schöpfungsgeschichten beginnen übrigens mit der Formulierung: „als noch nicht ... war“.

Es gäbe noch einiges mehr zu sagen, aber aus zeitlichen Gründen musste ich mich auf die m.E. wichtigsten Dinge beschränken. Rüst/Held werden ihrem eigenen Anspruch, den Schöpfungsbericht wörtlich zu verstehen, meines Erachtens ganz klar nicht gerecht. Sie hantieren mit sprachlichen Ungenauigkeiten und Missinterpretationen. Ausserdem geben sie der Evolutionstheorie prinzipiell den Vorrang und versuchen den Bibeltext dann entsprechend anzupassen und zurechtzubiegen. Doch die Unterschiede dieser beiden Glaubenskonzepte über die Entstehung der Welt und des Lebens sind ganz klar zu gross. Es gibt nur ein entweder-oder. Dabei gebe ich dem Schöpfungsbericht der Bibel den Vorzug, denn ihn ihm schreibt Gott selber, wie er bei der Erschaffung (nicht bei der Entwicklung oder beim Sich-entwickeln-lassen) vorgegangen ist. Und Gott ist die Wahrheit in Person. Die Evolutionstheorie hingegen ist eine menschliche Erfindung, eine von vielen verschiedenen Erklärungsmodellen, die im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder aufgestellt worden sind und sich immer wieder als sehr fragwürdig erwiesen haben.


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